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Ruth Hallensleben
'Büste des Führers im Garten des Streithofes', 1938
aus einem Sonderdruck der Zeitschrift 'Das Werk' anläßlich des Todes des Ruhrindustriellen Emil Kirdorf
am 13. Juli 1938

Rudolf Denner, Arbeiterfotografie Berlin:
Ein Foto liegt vor mir! Was sagt es aus, wer hat es aufgenommen? "'Büste des Führers im Garten des Streithofes' - Ruth Hallensleben 1938" steht darunter.
Diese Fotografie verrät solides handwerklich-fotografisches Können und Geschick der Fotografin. Gegen einen dunklen Hintergrund gesetzt, bei guter Lichtführung und Konzentration auf das Wesentliche - nur die 'Büste des Führers' bestimmt den Bildinhalt - zeigt dieses Foto Wirkung. Es ist ansehenswert und eine Einladung zur Nachdenklichkeit. So gesehen ist es ein handwerklich gut gelungenes Foto. Der Auftraggeber wird zufrieden gewesen sein. Wer hätte es sonst als Auftraggeber in einem Sonderdruck der Zeitschrift 'Das Werk' veröffentlicht? Sonderdrucke gab und gibt es viele.
Aber dieser Sonderdruck wurde anläßlich des Ablebens des Ruhrindustriellen Emil Kirdorf herausgegeben. Emil Kirdorf starb am 13. Juli 1938 hochbetagt. Ihm gehörte der Streithof, und in seinem Garten stand diese Hitlerbüste! Hier liegt die Quelle konkreter Fragen, z.B.:
Wer war Emil Kirdorf?
Warum stand diese Büste in seinem Garten?
Welche Beziehungen gab es zwischen Kirdorf und Hitler?
Warum gab die Zeitschrift 'Das Werk' einen Sonderdruck zu Emil Kirdorf heraus?
Wenn ein Foto solche Fragen, aber auch kritische Nachdenklichkeit auslöst, mehr als 60 Jahre nach dem Aufnahmezeitpunkt, dann hat die Fotografin eines erreicht: man setzt sich mit einem solchen Foto auseinander, schon deshalb, weil man sich mit einem Stück Vergangenheit auseinandersetzen möchte - oder aber, um daraus Erkenntnisse für die Gegenwart zu gewinnen. Emil Kirdorf war u.a. Mitbegründer des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats. Damit gehörte er zum Kreis des Großkapitals und - wie wir heute sagen würden - zu den 'maßgebenden Wirtschaftkreisen' dieses Landes. In Lexika kann man nachlesen, daß er ein Gegner der Gewerkschaften war. Erlaubt sei die Frage, wie sich in den heute zentral geregelten Sprachbegriffen eigentlich Gewerkschaftsgegner nennen?
Emil Kirdorf war aber auch Mitbegründer des Alldeutschen Verbandes, der 1891 gegründet wurde und vor dem I. Weltkrieg wohl die mächtigste extrem chauvinistische Propagandaorganisation des deutschen Großkapitals darstellte. Die Hitlerbüste im Garten Kirdorfs ein Zufall? Diese völkisch-nationalistische, antisemitische und imperialistische Vereinigung vertrat besonders nach dem I. Weltkrieg eine republikfeindliche Ideologie, die weitgehend von der NSDAP übernommen wurde! Also doch kein Zufall!
Und noch etwas ist nachzulesen: Emil Kirdorf war seit 1923 einer der bedeutendsten Geldgeber Hitlers! Selbstlos? Rein zufällig? Er wußte wohl sehr genau, wem er sein Geld gab.
So ergeben sich die Antworten auf Fragen, die dieses Foto provoziert, was nicht bedeutet, daß sie von der Fotografin provoziert wurden.
Ich habe versucht, dieses Foto historisch zu befragen. Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, daß diese 'Büste des Führers' im Garten seines Geldgebers Kirdorf ein Ausdruck für die langjährigen engen ideologischen und finanziellen Beziehungen ist, die es zwischen dem 'Führer' und dem Nationalsozialismus einerseits und dem deutschen Großkapital andererseits gab.
Derartige 'Investitionen' des deutschen Großkapitals zeigten Wirkung, z.B. in der gnadenlosen Judenverfolgung und -vernichtung, in der Verfolgung und Vernichtung Andersdenkender, im II. Weltkrieg und seinen furchtbaren Folgen, im Segen für die deutsche Großindustrie und nicht nur diese - und dieser Segen hieß Profit!
So schließt sich - fast - der Kreis der Betrachtungen um das Foto 'Die Büste des Führers im Garten des Streithofes'. Das 'fast' ist noch näher zu denken und zu hinterfragen.
Die Geschichte hat gezeigt, wozu das deutsche Großkapital in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts fähig war, wenn man an zwei Weltkriege denkt. Was ist aus diesen Fähigkeiten heute geworden? Sicherlich wurde die 'Büste des Führers' nach dem II. Weltkrieg entsorgt - ich weiß es nicht!
Geschichte allerdings kann man nicht entsorgen. Wenn ein Foto - ob gewollt oder nicht - solche Gedanken provoziert, dann hat es seinen Zweck erreicht. Nachträglichen Dank Ruth Hallensleben!

Prof. Rolf Sachsse, Fachhochschule Niederrhein:
Dieses Bild ist eine Kunstreproduktion. Es folgt ältesten Regeln, wie sie beispielsweise schon William Henry Fox Talbot in seinem Handbuch 'The Pencil of Nature' von 1844 aufgestellt hat: helle Skulptur vor dunklem Grund, möglichst weiches Licht, lange Brennweite, wenig Bildraum. Am Bild selbst ist nichts Besonderes. Nach dem Gegenstand muß nicht gefragt werden, sondern danach, warum die Reproduktion einer Hitlerbüste in den illustrierten Nachruf auf einen Industriellen gerät. Zur Antwort will ich mich auf die Fotografin und den Auftrag beschränken.
Ruth Hallensleben, 1899 geboren, war Erzieherin gewesen, als sie anfangs der 30er Jahre diesen Beruf aufgeben mußte. Die Berichte darüber sind widersprüchlich; eine Krankheit mag es gewesen sein, vielleicht aber auch ihre Neigung zu Frauen. Die dem Berufsausstieg folgende Lehre bei der Kölner Fotografin Elsbeth Gropp war guten heimatlichen Beziehungen geschuldet und ein wenig gespartem Geld, denn diese Dame unterhielt eher eine Privatschule denn ein Portraitatelier. Gleichwohl verlangte sie von allen ihren Schülerinnen, sich nicht als Portraitistin in Köln niederzulassen. Damit war aber für Ruth Hallensleben, die in Köln bleiben wollte und mußte, die wichtigste Einnahmequelle einer Fotografin verschlossen. Insofern empfand sie die Aufnahme von Geschäftsbeziehungen zum Essener Verlag Hoppenstedt im Jahr 1938 als großes Glück.
Dieser Verlag war auf Geschäftsberichte und Hauszeitschriften spezialisiert; in dieser Eigenschaft produzierte er auch 'Das Werk', eine Zeitschrift des Deutschen Stahlverbandes in Düsseldorf. Zu ihm gehörten auch die Fabriken von Emil Kirdorf, dessen Angedenken die Nummer der Zeitschrift gewidmet war, aus dem diese Abbildung stammt. Berichte wie Zeitschriften wurden mit nicht-aktuellem Bildmaterial illustriert, Aufnahmen aus der Produktion, Portraits der Industriellen, Bilder aus den Sozialwerken der Firma, Reiseberichte zu Ländern, in denen investiert wurde - eine ähnliche Palette zu heutigen Berichten mit Ausnahme der inzwischen kaum noch vorhandenen Produktion. Gerade diese Aufnahmen von maschineller und menschlicher Arbeit brachten Ruth Hallensleben binnen zwei Jahren den Ruf einer großen Industriefotografin ein; ein Ruf, der noch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg anhielt.
Der Ruf war teuer erkauft, und darauf verweist das Bild des steinernen Adolf Hitler: Ruth Hallensleben mußte sich anpassen und machte sich sehenden Auges mitschuldig an jener Erziehung zum Wegsehen, die die Bildpropaganda des NS-Staates war. Sie übernahm jeden illustrativen Auftrag, und wenn er die Verherrlichung der Herrschenden enthielt, wurde auch das ausgeführt. Dabei war sie weniger skrupellos als handwerklich naiv, weniger gläubig als unbedarft. Die Geschichte ihres späten und schwierigen Einstiegs in den Beruf machte sie stärker von Konventionen und Aufträgen abhängig als andere; sie hatte, subjektiv gesehen, einfach keine andere Wahl. Gleichwohl genoß sie ihren guten Ruf und den damit verbundenen geschäftlichen Erfolg.
Für eine Frau typisch, hat sie dafür auch mehr gebüßt als andere. Der gute Ruf half nach dem Zweiten Weltkrieg nur kurze Zeit weiter; Hoppenstedt suchte sich andere Fotografen, und neue Kunden kamen kaum noch. In den zwei ersten Berufsjahren, vor ihrer Verbindung mit dem Verlag, hatte sie von Landschaftsfotografien und eher touristisch orientierten Land-und-Leute-Bildern gelebt; am Ende ihres Berufslebens ist sie zu dieser Arbeit wieder zurückgekehrt. Obendrein konnte sie ihre früheren Bilder aus Ostpreussen gut verkaufen - damit machten dann die Vertriebenenverbände ihre Propaganda.
Zurück zur Hitlerbüste : Sie steht metaphorisch für die schwierige Umsetzung von (politischem) Text ins Bild und zurück. Als Propaganda ist sie zu platt, als bildende Kunst zu schlecht, als Fotografie zu unbedeutend, um eigenen Wert beanspruchen zu können. Als Symbol für die schwierigen Überlebensbedingungen einer Fotografin, unabhängig von deren unbestreibarem Können, bedarf sie allerdings sehr viel Interpretation und Erläuterung.

Heinz Wilhelm, Dipl. Informatiker, Kiel:
An dem Bild ist nichts Bemerkenswertes. Es gibt nichts, warum man sich mit diesem Bild auseinandersetzen sollte. Langweiliger geht es kaum, ist der Betrachter versucht zu sagen, wenn er das Bild das erste Mal flüchtig betrachtet. Das Licht ist zwar nicht falsch, aber auch nicht besonders interessant gesetzt. Der Bildaufbau enthält nichts Störendes, aber auch nichts, was dazu führen könnte, das Bild spannungsgeladen zu empfinden. Und inhaltlich betrachtet: die Skulptur - und damit das Foto - stellen eine Person dar, die zwar seinerzeit die Geschichte Deutschlands und der Welt geprägt hat, aber für die heutige Zeit nichts enthält, was uns Erkenntnis vermitteln könnte. Also legen wir das Bild zur Seite und kümmern uns um Wichtigeres.
Doch dann schleicht sich ein Moment der Irritation ein. Irgendetwas stimmt an diesem Bild nicht. Die fotografierte Skulptur sieht den Betrachter an. Das ist ungewöhnlich. Skulpturen haben in aller Regel tote Augen. In beiden Augen entdecken wir Pupillen, im rechten Auge befindet sich sogar ein Reflex - auf Stein kaum möglich. Wer hat hier eingegriffen? Der Bildhauer, indem er die von ihm geschaffene Büste bemalt hat? Ein Retuscheur in der Redaktion der Zeitschrift 'Das Werk', die das Bild aus Anlaß des Todes des Hitler-Förderers Emil Kirdorf veröffentlicht hat? Oder die Fotografin Ruth Hallensleben, die sich beauftragen ließ, im Streithof, dem Anwesen Emil Kirdorfs zu fotografieren, und die den nackten Stein als zu leblos empfunden hätte, selber zum Pinsel gegriffen hat und in vorauseilemdem Gehorsam Leben suggerieren wollte, wo eigentlich nur Tod ist?
Jetzt wirft das Bild die Frage auf, warum sich eine Fotografin hat gebrauchen lassen - und das zu einem Zeitpunkt, wo andere schon die sich abspielenden und die drohenden Verbrechen vor Augen hatten. Und es wirft die Frage auf, wie es möglich ist, daß eine auf der Seite des Nationalsozialismus stehende Fotografin nach dem Krieg schnell wieder zu Ehren kommt - in der GDL und später in der DGPh. Und es provoziert immer wieder die aktuelle Frage, inwieweit Medienschaffende sich vereinnahmen lassen durch herrschende Strukturen. Auf diese Weise ist aus dem belanglosen und langweiligen Bild von Anno pief ein hochaktuelles und aufschlußreiches geworden.