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Eugen Schanz, Arbeiterfotografie Hamburg:
Der Kasseler Bildhauer und Objektkünstler Harry Kramer modellierte aus Brotteig einen menschlichen Kopf - und wenn der nicht verschimmelt ist, sieht er noch immer so ähnlich aus wie der auf diesem Foto. Die Fotografie des Brotteig-Kopfes (ich sah ihn nicht im Original) ist die Fotografie eines Kunstobjektes. Das hier zu besprechende Bild ist das Kunstobjekt selbst.
Die Besonderheit dieses Bildes liegt im Ergebnis technischer Veränderungen an einem zum Zwecke technischer Veränderungen geschaffenen Männerkopf-Foto. Fotos werden aus unterschiedlichsten Gründen technisch verändert, fast solange es Fotografie gibt - beim Abwedeln beginnt es. Dieses Weiterzuspinnen ist interessant, viel ist darüber geschrieben - nichts Neues also - wenn das fertige Bild und nicht der Weg dahin bestimmend für die Beurteilung ist.
An diesem Punkte künstlerischen Wollens kann die selbstkritische Frage stehen, ob das erstrebte Bild, dessen Aussage noch Sache der Fotografie sei, oder ob eine andere Kunstform den Inhalt besser träfe - oder die gewählte Kunstform überhaupt Fotografie ('Photographie der Gegenwartskunst' gar) ist. Wollen uns die beiden Fotokünstler Azis & Cucher etwas anderes mitteilen als 'Seht mal, was wir mit den elektronischen Bildverarbeitungsmaschine alles machen können' - dann: Was? Das sagen uns die Bildverarbeiter nicht. Brauchen sie auch nicht. Wir haben Augen im Kopf und einen Mund zum Sprechen. Möglicherweise liegt hier plakathaft bereits die Mitteilung: Nach innen gerichteter Blick. Worte, die den Kopf nicht verlassen. Ich-Bezogenheit, Realitätsverlust, Blindheit, Sprachlosigkeit.
Doch der Mund wird nicht allein zum Sprechen benötigt, sondern auch um zu essen, zu küssen und zu kotzen. Das dann aber sehr real.
Luis Cruz, Fotokünstler, Köln:
Die Computergeburt eines Fotos? Der erste Eindruck, den das Porträt vermittelt, ist gekennzeichnet durch einen schwer erfaßbaren Gesichtsausdruck und ein undurchschaubares Mienenspiel. Und sogleich entdeckt man das Fehlen der Augen und des Mundes, was die Aufmerksamkeit von normalerweise sehr störenden ästhetischen Faktoren - nämlich dem frontalen Licht, das jegliche Plastizität tötet, ablenkt. Das verwendete Modell imitiert durch seine Gesichtszüge und den geschorenen Kopf, der mit dem zweiten Licht dazu beiträgt, dem Bild etwas Volumen und Tiefe zu geben.
Die Ästhetik ist in hohem Maße durch die Anforderungen des beabsichtigten Effektes bestimmt, das Verschwinden von Mund und Augen. Mit oder ohne Computer hätte das Licht frontal sein müssen, um die Auflösung zu unterstützen. Stellen Sie sich vor, es handelte sich um ein Porträt im üblichen Sinne mit seinen Schatten und Lichteinfällen - es wäre unmöglich gewesen, die gewünschte Wirkung zu erzielen. Es wurden also ästhetische Elemente zur Erreichung eines anderen Ziels aufgegeben. Erst wenn man diese Schwierigkeiten, mit denen sich der Fotograf konfrontiert sah, erkennt, kann man die Wirkung gegen den Verlust der Plastizität abwägen.
Die Technik, die verwendet wurde, ist zweistufig - einerseits die formale Vorbereitung des Fotos und andererseits die Bearbeitung des digitalisierten Bildes. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Realisierung des formalen Bildes, weshalb jegliche Angst angesichts der neuen Computertechnik ungerechtfertigt ist. Es mag Ihnen merkwürdig erscheinen - aber die Zeit und der Aufwand bei der Computerbearbeitung entsprechen einem Bruchteil der in der nicht digitalisierten Fotografie verwendeten Zeit. Hier etwa kann man mit großer Sicherheit davon ausgehen, daß die Bildbearbeitung mit dem Programm Photoshop vorgenommen wurde und dort mit dem Instrument 'Stempel', mit dessen Hilfe die Wirkung des Erlöschens in wenigen Minuten erzielt wird. All denjenigen, die ihre Nase noch nicht in die digitale Bildbearbeitung gesteckt haben, kann ich nur empfehlen einen Bekannten zu bitten, daß er ihnen einige der Programme vorführt
Der Inhalt des Bildes bleibt - wie immer für den Betrachter - im Bereich der Vermutungen - schließlich ist die Kunst ebenso kompliziert geworden wie das Leben im allgemeinen. Wir bewegen uns im Bereich von Mutmaßungen und interpretieren, was uns der Urheber sagen will (wenn er uns überhaupt etwas sagen will). Aber stellen wir uns einfach mal vor, daß der Gesichtsausdruck, das Verschließen der Augen und des Mundes, eine Bedeutung hat. Wir können diese auffassen als ein Nichts-sagen-wollen, Nichts-sehen-wollen - denn welchen Sinn hat es heute für das Individuum, zu sehen und zu sprechen? Es gibt keinen kompetenten Gesprächspartner für die wichtigsten Probleme der materiellen Existenz und damit auch des geistigen Lebens, das voller Ungewißheiten ist angesichts von gigantischen und entfremdeten Mächten, die das materielle Leben bestimmen und einen wie Papier im Wind bewegen. Vergessen wir nicht, daß das Sehen das Medium der Inkommunikation oder der Kommunikation in eine Richtung ist, das heutzutage am meisten von den Herrschenden benutzt wird. Das Fernsehen greift an, entfremdet und kommuniziert in eine einzige Richtung. Deshalb ist das Sehen ein Weg der Selbstinfektion und der Mund wird zu einem überflüssigen Werkzeug.
Das ist selbstverständlich meine sehr persönliche Interpretation. Hoffentlich ist sie eine Anregung für weitere eigene Interpretationen.
Gerhard Schlötzer, Arbeiterfotografie Bamberg:
Das Porträt eines Menschen, dem die Sinnesorgane zugewachsen sind, hätte mich in den Zeiten, als es noch nicht möglich war, Fotos mit dem Computer zu manipulieren, nach der ersten Verblüffung dazu veranlaßt, genauer hinzuschauen, um festzustellen, wie das wohl gemacht ist. Mit der Einordnung des Bildes in die Schublade 'computermanipuliert - alles ist machbar' schwindet fast augenblicklich mein Interesse an der abgebildeten, oder nachgebildeten Oberfläche. Jeder direkte Kontakt durch das Medium Fotografie hindurch mit der abgebildeten Oberfläche des Objektes scheint durch die Kontingenz des Computerbildes unterbunden. Behauptet sich in der klassischen Fotomontage und in der Retouche, durch die geringere Perfektion der Mittel, wenigstens in Teilbereichen noch der anarchische Eigenwillen der Fotografie, die Objekte automatisch, 'ohne die Hand eines Künstlers' (Daguerre) wiederzugeben, so scheint die Servilität, mit der sich der Computer dem Benutzer zu manipulativen Zwecken geradezu aufdrängt, dazu zu führen, daß die so entstandenen Bilder als reines Ausdrucksmedium des Künstlers gesehen werden, deren vermeintlicher Wirklichkeitsgehalt nichts als bewußt gewählte und gezielt gesetzte Zitate von Wirklichkeitspartikeln durch die Hand eines Autors sind, der die Kontrolle über alle Details behält. Eine Malerei mit fotografischen Versatzstücken? Nichts ist an seinem Platz, ohne daß es der Computer Maler so gewollt hat?
An diesem Punkt angelangt, richtet sich das Interesse auf die kommunikative Absicht der Macher. Was wollen sie uns damit sagen? Um den Betrachter ja nicht im Ungewissen zu belassen, sind im Katalog 'Fotografie nach der Fotografie' gleich ein Reihe von Reflexionen der Autoren abgedruckt, die alle um die Themenkomplexe Technisierung der Kommunikation, Vorherrschaft der Information, Verdrängung des Körpers, etc. kreisen. Würde zur Illustration dieser Aussagen nicht ein einziges Bild genügen? Muß derselbe Gag gleich an sechs verschiedenen Porträtköpfen exekutiert werden? - Denke ich mir, während ich an den Farbbildern in der Größe 123 x 101 cm vorbeigehe und feststelle, daß die Köpfe Lynn, Ken, Maria,... Chris heißen und abgesehen von den Fehlstellen höchst individuelle Gesichtszüge haben. Haaransatz, Bartstoppeln, Falten, die auf der Wange beginnen und sich bis über die zugewachsenen Augenlider ziehen, zwei Falten zwischen Nasenwurzel und Augenbrauen, die darauf hindeuten, daß Chris die Augen geschlossen hatte, als die zugrundeliegende Aufnahme gemacht wurde. Die Oberlippenfurche mit kurzen Bartstoppeln wölbt sich nach vorne, endet abrupt und macht bis zum vorstehenden Kinn einer glatten, hautfarbenen, bartlosen Fläche Platz, die nicht in Zusammenhang mit den umgebenden Gesichtsformen steht. Eine kurze, sichelförmige Mundwinkelfalte weist darauf hin, daß dieses Gesicht einmal einen Mund gehabt haben muß. Der funktionelle und mimische Zusammenhang eines Gesichtes bleibt also auch nach der Tilgung wesentlicher Partien rudimentär erhalten.
Ich stelle fest: Die Verwendung von Computern hat die Veränderung von Fotos zwar einfacher und besser gemacht, die Realität durchdringt aber auch dieses Medium und produziert partielle Widersprüche zur vom Künstler nachgebildeten Als-Ob-Realität, an denen sich ‘automatische Reproduktion’ und Kunstwollen scheiden lassen. Die Möglichkeiten zur Manipulation wurden perfektioniert, die Glaubhaftigkeit eines Bildes bleibt aber nach wie vor davon abhängig, wie weit die Bild-Macher es in den Dienst ihrer eigenen Intensionen zu stellen versuchen, oder ihm die Freiheit der Selbstrepräsentation lassen.
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