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Wolfgang Zurborn, Tina Schelhorn, Katharina Linder (Galerie Lichtblick, Köln):
Es soll offensichtlich ein Zusammenhang hergestellt werden zwischen der Prozession und dem Randgeschehen. Doch ein Manko des Bildes ist, daß das Entscheidende, auf das es ankommt, sich auf die Mitte des Bildes beschränkt. Die Dinge, die mehr am Rand auftauchen, erzählen nichts Zusätzliches, z.B. hinsichtlich der Haltung, der Gestik der Dargestellten. Es gibt nichts, was mehr beiläufig das Interesse des Betrachters weckt - beiläufig in dem Sinne, wie Roland Barthes es definiert. Das finde ich bei Fotografien oft so spannend, wenn man etwas entdeckt, was man nicht auf den ersten Blick wahrgenommen hat, das dann beim fünften oder sechsten Hingucken plötzlich den Blick fesselt. Den abgebildeten Moment finde ich durchaus spannend, aber er hätte konzentrierter ins Bild gesetzt sein können.
Das Bild hat eine Form von unangenehmer Unschärfe. Es ist keine Unschärfe, die eine andere Ebene herstellen würde. Es ist alles sehr diffus, z.B. wie die Gesichter in den Fensterkreuzen untergehen. Im unteren Bereich ist das Bild totlangweilig. Alles spielt sich oben ab. Besonders fotografisch ist das Bild nicht gesehen. Dadurch bleibt es sehr an der Szene hängen. Es schafft keine neue Realitätsebene, keinen neuen Bedeutungsraum, was bei starken fotografischen Arbeiten durchaus passieren kann. Viele gute Fotos sind wie Collagen, in denen ganz unterschiedliche Inhaltsebenen beschrieben werden.
Man hätte einen Ausschnitt machen können. Die Personen links und rechts im Bild sind für mich ziemlich unwichtig. Sie sind überflüssig. Was mich auch stört, ist, daß die Personen links und rechts ineinander übergehen, nicht getrennt sind. Durch einen stärkeren Anschnitt würde stärker deutlich werden, daß tatsächlich ein Ausschnitt aus dem Geschehen herausgenommen wird. Auch würde das Bild nicht so ikonenhaft wirken. Der Eindruck des Flüchtigen, der Eindruck von Bewegung würde viel stärker deutlich. Links und rechts im Bild ist so ein Wust, daß ich als Betrachter die Konzentrierung suche. Wenn mir keine Organisation des Bildes geliefert wird, suche ich nach einem Halt. Und dieser Halt bietet sich mir in der Mitte. Durch einen in etwa quadratischen Ausschnitt würde das Bild erheblich an Konzentration gewinnen und das Thema wäre wesentlich pointierter formuliert.
Wenn in der Mitte des Bildes alles passiert, was wesentlich ist, dann ist der Betrachter nicht in geringster Weise gefordert, den Blick in andere Bereiche des Bildes zu lenken und dort nach etwas zu suchen. Dadurch bleibt es insgesamt ein sehr spannungsloses Bild. Interessanter finde ich es, wenn verschiedene Zentren des Interesses entstehen. Das Bild wird dadurch, daß es sich auf die beiden Personen mit ihrer Demutshaltung konzentriert, sehr symbolisch und plakativ. Es bleibt dem Betrachter keine Möglichkeit, in das Bild noch andere Aspekte hineinzulesen.
Andererseits mag ich das Bild nicht symbolisch interpretieren. Angesichts der beiläufigen Gestaltung mit den Zufälligkeiten, die darinstecken, widerstrebt es mir, das Dargestellte symbolisch zu nehmen. Wenn ein Bild symbolisch gemeint sind, muß es auch symbolisch formuliert sein.
Es besteht eine sehr direkte Verkettung von zwei Ebenen. Es ist ein Bild über die Frömmigkeit. Durch eine andere Komposition, eine andere Bildauffassung ließe man dem Betrachter noch eine andere Möglichkeit der Interpretation. Wenn ich von verschiedenen Zentren des Interesses spreche, dann meine ich das nicht nur formal. Wenn z.B. der Meßdiener in irgendeiner Form pointierter dargestellt wäre, könnte das Bild mich dazu anregen, mir Gedanken darüber zu machen, wie Kinder mit einer derartigen Tradition umgehen, wieweit sie in einer derartigen Tradition drinstecken oder inwieweit sie ausbrechen wollen. Eine andere Ebene wäre, zu betrachten, wie die Strukturen in einer organisierten Kirche sind. Man mag nicht alle Ebenen ins Bild packen können. Aber man kann Assoziationsketten loslaufen lassen, die einen dazu bringen zu erkennen, daß es sich um ein vielschichtiges, komplexes Thema handelt, so daß man nicht einfach nur sagt: Bamberg - fromme Stadt.
Der dunkle Herr im Vordergrund ist eigentlich ziemlich interessant - wie er die Kerze hält. Er greift nicht voll drumherum, hält sie nur mit ein paar Fingern. Das würde mich näher interessieren.
Auch die Person ganz rechts finde ich im Grunde interessant. Die sieht aus wie ein Bankbeamter, der sich verkleidet hat. Der hat überhaupt nichts von einer heiligen Würde. Der sieht aus wie ausstaffiert. Ich würde das gerne besser sehen können.
Ich finde ein Bild dann gut gelöst, wenn sich ein Bild aus dem Detail heraus entwickelt, wenn jedes Detail sehr genau formuliert ist. Das kann ich bei diesem Bild nicht sagen. Ich nehme das Bild als Ganzes in mich auf, erkenne die inhaltlichen Aspekte, die Frömmigkeit, die Erstarrung in religiösen Ritualen. Aber ich will mich eigentlich gar nicht so sehr darauf einlassen. Denn es mir zuviel Klischee. Mir ist ein Bild lieber, das meine Klischees bricht, das mir ein komplexeres Bild liefert und nicht simplifiziert. Das ist das, was mich an einem Foto reizt.
Als Bestandteil eines Stadtportraits dagegen ist das Bild wesentlich interessanter als vieles andere, was man in dieser Hinsicht kennt. Es sind nicht einfach nur schöne Fassaden fotografiert. Es erzählt, was sich in der Stadt abspielt.
Wolfgang Marx (Arbeiterfotografie Köln):
Da ist doch tatsächlich noch ein Foto von einer Pfarrprozession - ein vor 20 bis 40 Jahren beliebtes, heute fotografisch kaum noch beachtetes Sujet. Ein Alltagsfoto nur, scheinbar zufällig, aber über die Augenblickssituation hinaus lesbar, interpretierbar in seinen flüchtig erfaßten Widersprüchen:
Vorne die hastigen Prozessionsteilnehmer mit grimmiger Miene und Kerze, ausdruckslosen Gesichtern, im Ornat, nach links hin scheinbar noch schneller werdend.
Dagegen dem Betrachter halb zugewandt: das alte Paar, selbst über das geparkte Auto hinweg inbrünstig und devot geneigt bzw. gekrümmt, als Beweis dafür, daß ein noch so oberflächlich vollzogener Ritus in Deutschland immer noch seine Untertanen findet.
So gefällt mir das Foto trotz sich überschneidender Personen und etwas ungünstigem Schärfeverlauf.
Timm Starl (Fotopublizist, Herausgeber der Zeitschrift 'Fotogeschichte', Frankfurt):
Mit Ergebenheit senkt die weißhaarige Frau den Kopf, etwas steif beugt der Mann den Rücken. Sie klopfen sich an die Brust, als ob es eine Schuld einzugestehen gäbe. Mit der linken Hand wird die Kleidung an den Körper gehalten, wie es sich gehört; das hat man so gelernt. Der Anlaß dieser Bekundung ist aus dem Blick geraten, die Oberkörper sind nach vorne geneigt, die Lider gesenkt.
Niemand beachtet das alte Paar, an dem die Prozession vorbeizieht. Es wäre ganz für sich geblieben, wenn es nicht die Fotografin aufgespürt hätte. Sie hat die einsamen Personen neben der Kolonne gesehen, das stille Verharren hinter der unruhigen Bewegung in den Vordergrund gerückt, die Statisten zu Hauptdarstellern erklärt. Sie hat gleichsam gegen den Strom geblickt - und dabei die andere Seite eines Rituals wahrgenommen, bei dem alle Teilnehmer aufeinander angewiesen sind und sich nach ganz bestimmten Regeln verhalten.
Doch einer hat nicht mitgespielt, hat seine Rolle aufgegeben. Er fügt sich nicht ein in das Bild, sondern er blickt aus ihm heraus. Der Mann mit der Kerze hat den Fotoapparat entdeckt. Er widersetzt sich der üblichen Einvernahme, er durchkreuzt die Absicht der Fotografin. Aber dies scheint nur so, denn auch der unwirsch dreinsehende Herr gehört zur Handlung: er personifiziert die Unwägbarkeiten des Alltags, das Unerwartete, das Geheimnis. Der Zufall hat das fotografische Ritual durchbrochen, er hat sich ins Bild eingeschrieben. Er hat für Spannung gesorgt.
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