Forum

Elife Elci - Köln, 1994
aus dem Projekt 'Frauen - Frauen in der Fremde'

Brigitte Bornemann, Arbeiterfotografie München:
Die Raumaufteilung und die unscharfe, fast schemenhafte Darstellung der Frau, erwecken in mir den Eindruck einer flüchtigen Begegnung zwischen der Fotografierten und mir, der Betrachterin. Das Ganze erinnert an Situationen in U-Bahn-Stationen oder Unterführungen, wo Menschen meistens schnell aneinander vorbeigehen, sich kaum wahrnehmen, einander fremd bleiben. Die Bildgestaltung suggeriert dies sehr gut, da durch die im Schatten liegenden Augen der Frau eine Kontaktaufnahme nicht möglich ist, vielmehr wird mein Blick durch die Perspektive auf den Hintergrund in die Ferne gelenkt.
Obwohl die Frau im Vordergrund das Bild dominiert, erfahre ich fast nichts über sie. Lediglich ihre Kleidung läßt darauf schließen, daß es eine muslimische Frau ist. Der Ort, an dem sie sich befindet - ein langer Gang, fast menschenleer, helles, kaltes Neonlicht strahlt von der Decke, weiße, steril wirkende Fliesen an der Wand - wirkt ungemütlich, beinahe unheimlich. Hier hält man sich nicht länger auf als unbedingt nötig. Die Frau, die sich dicht an der Wand befindet, ist isoliert; die nächsten Menschen sind erst weit entfernt im Hintergrund zu erkennen und stehen in keinerlei Beziehung zu ihr. Die Diagonale im Bild ist im Gegenteil eine deutliche Trennlinie zwischen ihr und den übrigen Personen auf dem Foto. Man spürt die Kälte, die ihr von einer fremden Umgebung entgegenschlägt. Für mich ist sehr gut nachvollziehbar, mit welchem Unbehagen sie dort beinahe ängstlich entlangläuft.
Ein sehr ansprechendes Foto, das über die Gefühle, die es beim Betrachten wachruft, einen Eindruck von 'Fremdsein' vermittelt.

Hans-Wulf Kunze, Fotograf, Magdeburg:
Elife Elci und Idil Gülbalkan haben sich in ihrem Projekt 'Frauen - Frauen in der Fremde' mit der Situation von Frauen befaßt, die in Deutschland ihr Glück suchen. Diese Themenwahl scheint naheliegend, stammen sie doch beide aus der Türkei. Zu einem guten Teil wird es sich auch um ihre Situation handeln, die sie im Abbild der Freundinnen, Bekannten und in zufälligen Begegnungen thematisieren. So persönlich in ein Thema eingebunden zu sein, bringt in der Regel Schwierigkeiten mit sich. Will man Bilder machen, braucht man eine Distanz zum Vorgang. Elife Elci wird das Wissen um die Probleme der Frauen aber geholfen haben, sich in deren Gefühle hineinzudenken. Eine Garantie für überzeugende Fotografien konnte dies sicher nicht sein.
Ich kenne nur dieses Foto aus dem Projekt. In einer Ausstellung ('Deutschlandreise') fiel es mir durch seine fehlende Perfektion auf. Die Fokussierung der Optik liegt Meter hinter dem Mädchen. Ja eigentlich könnte man meinen, Elife Elci baut eine junge Frau mit einem Schleier wie einen Berg vor dem Betrachter auf. Im harten Licht der Unterführung werden nur wenig Differenzierungen im Gesicht und im Umhang deutlich. Das verstärkt diese Wirkung noch. Schwarze und weiße Flächen dominieren in der Figur. Trotz der Härte der Tonwerte bemerkt man den Blick des Mädchens, der Vertrautheit mit der Fotografin verrät. Das Bild im Sucher geordnet, hat Elife Elci ausgelöst. Vielleicht in Hochstimmung, vielleicht nicht ganz sicher, ob das, was sie empfindet, auch im Bildrahmen ist. Aber warum fokussiert sie nicht richtig? Fragen bleiben.
Das Bild steckt andererseits voller Klischees - die kalte Unterführung, die sehr perspektivisch fotografiert wurde, die junge Frau mit dem Kopftuch als Zeichen für Fremdsein. Trotz dieser Bildelemente, die inhaltlich besetzt sind, werde ich nicht verstimmt. Wahrscheinlich ist es die unmittelbare Nähe sowie die kraftvolle Silhouette der jungen Frau in dieser unbestimmten Unschärfe, die mich interessieren. Sie ziehen mich ins Bild.
Ist es nicht gerade jene Unbestimmtheit, dieses Moment des 'Nichtausgesprochenen' und des 'Nichtsagbaren', die uns an den Fotografien so faszinieren? Deshalb beschäftigen mich die Beweggründe der Elife Elci mindestens genauso, wie die Frau, die sie abbildet. Spannend an guter Fotografie ist doch nicht der Gegenstand an sich, sondern die Art des Sehens, die der Fotograf einbringt. Heute lebt dieser im Spannungfeld von Subjektivität und Funktionieren im Sinne der Rolle als Produzent von Bildern, die oft als Klischees genutzt werden. Die Spielräume werden eher enger, denn weiter. So bestimmt Fotografie als Medium m.E. ein Verhältnis zwischen dem Subjekt Fotograf und der Wirklichkeit. Elife Elcis Bild ist in dieser Hinsicht subjektiv. Es verweigert sich, gewollt oder auch nicht, gängigen Mustern von Bildern, die wir kennen.

Jan Thorn-Prikker, Journalist, Bonn:
Wäre ich nicht nach meiner Meinung zu diesem Foto gefragt worden, dann hätte ich es sicher nicht beachtet. Ich hätte es einfach übersehen. Die Aufnahme sagt mir nichts. Sie ist ein astreines Klischeebild. Man meint alles zu sehen und hat doch fast nichts vor Augen. Sie ruft ein vorgefertigtes Bild einer Sache, das man im Kopf hat, einfach ab.
Tatsächlich sehe ich nur das leicht unscharfe Bild einer verschleierten Person. Diese Frau bewegt sich in einer Art Korridor zusammen mit anderen noch viel unschärfer abgebildeten Personen. Deutlich ist nur, daß der Raum symbolhaft gewählt ist. Die Idee des Bildes ist klar. Fremde Frau in fremder Welt. Ausländerin in Deutschland. Das Bild ist auf reflexartiges Mitleid angelegt, statt soziale Neugierde zu erwecken. Damit ist in Form eines Denkverbots direkt mitimpliziert, was ich zu empfinden habe. Das arme Wesen. Solch ein Impuls wird in Deutschland gerne mit Menschenfreundlichkeit verwechselt.
Die Fluchtlinien des Raumes und die Umrisslinien der Frau korrespondieren. Künstlich stellen sie eine Verbindung von Raum und Person her. Steckt da die Bildaussage? Bei näherer Betrachtung komme ich zu dem Schluß, daß es sich dabei nur um eine formale übereinstimmung handelt. Auch daß die Lichtreflexe des Raumes seltsam auf den Umhang treffen, ist nichts als ein zusätzlicher Reiz, der mir aber nichts Genaueres sagt.
Entweder wurde gezielt für diese Aufnahme posiert, oder die Aufnahme wurde gemacht, ohne daß die Kamera dazu vor das Auge genommen wurde. Die Aufnahme könnte ohne die Zustimmung der abgebildeteten Person entstanden sein. Besser oder schlechter würde die Aufnahme dadurch auch nicht, nur noch fragwürdiger, als sie so schon ist.
Das Bild sagt mir zu all den Aspekten, die mich interessieren würden, nichts. Eine fremde Person, an einem mir unbekannten Ort, von einer mir unbekannten Person aufgenommen. Ich kann mir nur ziemlich genau vorstellen, was ich beim Betrachten des Fotos denken soll. Das ärgert mich, weil es mich wie einen dressierten Hund behandelt. Man merkt die Absicht und ist verstimmt.
Ich lebe in einer Stadt, in der relativ viele verschleierte ausländische Frauen zu sehen sind. Die meisten davon sind Diplomatenfrauen oder gehören zum Botschaftspersonal. Diese Frauen fallen genau dadurch, daß sie sich verbergen wollen, in der öffentlichkeit auf. Wollen sie sich wirklich den Blicken entziehen, oder dürfen sie sich nicht zeigen? Sind diese Frauen ganz anders, als all die anderen Frauen um sie herum, die sich ganz anders verhalten? Was für Konflikte verbergen sich hinter diesem sichtbaren Sich-Verbergen? Was für eine Kraft gehört dazu, sich öffentlich von allen anderen zu unterscheiden?
Wenn ich das Foto so genau ansehe, wie ich es nicht vorhatte, dann weiß ich am Ende nichts über die Frau, nichts über ihre Männer, nichts über ihre Herkunft, ihre Kultur. Ich sehe die Idee der Fremdheit, ohne ein adäquates Bild von ihr. Die Aufnahme bringt mir die fremde Person nicht näher. Ich weiß auch nichts über die Schwierigkeiten, fremd und verschleiert in unserem Land zu leben. Das Bild selber bleibt mir fremd, weil es nicht so einfach ist, die Fremde, das Fremde oder Fremdsein angemessen in einem einzigen Bild auszudrücken, wie diese Aufnahme es versucht.