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Barbara Helfer, Arbeiterfotografie Stuttgart:
Ein ungewöhliches Portrait, auf dem von der Person, um die es geht, fast nichts zu sehen ist. Der sehr strenge formale Aufbau des Bildes - die dominierenden Waagerechten der Rinderrücken, der Kreis des Kopfes, der gewissermaßen auf der Rückenlinie sitzt und durch die Lichtführung zusätzlich betont wird - bewirkt jedoch, daß der Mensch sofort ins Auge fällt. Das Portait stellt ihn in der Beziehung zu seinen Tieren dar. Es scheint, als würden diese ihn beherrschen. Die Rinder sind Übermächtig, sie drängen den Menschen in den Hintergrund, fast an die Wand. Hier liegt die Problematik des Bildes: der Fotograf setzt den Bauern mit dem Foto in ein Verhältnis zu seinen Tieren, das dieser vielleicht gar nicht so definieren würde. Darauf läßt zumindest der selbstbewußte Blick schließen. Unterstrichen wird die Sichtweise des Fotografen noch dadurch, daß die Rinderrücken sich wie eine Mauer zwischen das eigentliche Bildgeschehen und den Betrachter drängen. Die untere Bildhälfte hat für den eigentlichen Bildinhalt keine Funktion. Reduziert man das Foto auf ein Seitenverhältnis von 2:3, geht kein einziges bildwichtiges Element verloren. Der Kopf säße sogar im goldenen Schnitt. Man kann also davon ausgehen, daß das Gefühl des Ausgeliefertseins, der Übermacht der Tiere über den Menschen genau der Darstellungsabsicht des Fotografen entspricht. Ob diese suggestive Bildwirkung tatsächlich die Lebenswirklichkeit des portraitierten Bauern wiedergibt, ist aber für den Betrachter nicht nachvollziehbar. Dazu bedürfte es anderer Fotos oder eines Textes, z.B. eines Interviews.
Günther Kemmer, Arbeiterfotografie Hassel/Saar:
Auf den ersten Blick fällt auf dem Foto nur das rein Formale auf. Das Auge wandert über horizontale Linien und bleibt an zwei Vertikalen, einem Kopf und einem Baum, hängen. In der mittleren linken Bildhälfte sind zwei Tierköpfe mit Hörnern zu sehen. Jetzt erst werden drei Tierkörper erkennbar. Vom dritten Tier ist nur der gewaltige Rücken zu sehen, der die Hälfte des Bildes einnimmt. Die Kräfte der Tiere sind mittels Nasenringen durch Ketten und Stricke, die an einer Eisenstange befestigt sind, gebändigt. Dem Betrachter wird klar, es handelt sich hier um eine Zuchtbullenschau. Der Kopf des stolzen Züchters thront über den massiven Leibern. Obwohl der Kopf des Bauern verschwindend klein wirkt, wird sichtbar, wer Chef dieser Gruppe ist. Nicht nur das, es wird zugleich sichtbar, wer Beherrscher der Natur ist - der Mensch. Gleichwohl handelt es sich bei diesem Portrait um ein außergewöhliches Foto. Es ist ein Beispiel dafür, wie in einem guten Foto die Form die Bildaussage zu steigern vermag.
Prof. Gottfried Jäger, FH Bielefeld, Fachbereich Design:
Das mir vorliegende Bild des Schweizer Fotografen Giorgio von Arb wirkt auf mich sperrig. Auffällig ist zunächst das Gesicht eines Mannes in der oberen rechten Bildecke. Der Mann schaut mich direkt an: Blickkontakt. Doch zwischen Betrachter und Betrachtetem stehen, ebenso auffällig, im Mittelgrund zwei angeleinte Ochsen, im Vordergrund, die volle untere Bildhälfte einnehmend, ist der Rücken eines weiteren Tieres unscharf zu erkennen. Die Tiere wirken wie eine lebende Mauer und stellen sich zwischen uns, den blickenden Mann und mich, den Betrachter. Sie verstellen uns auch den vollen Blick aufeinander, das mögliche Verständnis füreinander, sie verstellen uns die Möglichkeit zu einem Händedruck. Der Mann besteht nur aus einem kugeligen Kopf, der auf dem Rücken eines der Tiere hin und herzurollen scheint. Der Ausdruck des Mannes wirkt eher erschreckt. Er wirkt wie ertappt. In dem Fall wären die Tiere sein Schutz vor mir, dem Neugierigen, Fremden. Hat er Angst, ist er auf der Flucht? Will er sich verstecken? Taucht er gleich wieder weg, hinter den tierischen Schild? Vielleicht fühlt sich der Mann verfolgt, beobachtet. Andererseits beobachtet er auch mich sehr aufmerksam und das Geschehen, das von mir ausgeht: Das Klicken der Kamera, die Geste des Fotografen, der herumzieht und überall knipst. Unangenehm. Im Grund weiß auch ich mit ihm nicht viel anzufangen. Das gilt nun auch für das gesamte Bild. Das bäuerliche Ambiente ist mir fremd, der Mann eher unsympathisch, wie er da hinter seinen Kühen steht und mißtrauisch zu mir herüberblickt. Ich finde keinen weiteren Zugang zu dem Bild, auch keine weiteren Anknüpfungspunkte in fotogeschichtlicher Hinsicht. Es geht mich nichts an. Ich finde es belanglos.
Dr. Reinhold Mißelbeck, Museum Ludwig, Köln:
Das vorliegende Bild ist Teil einer Portraitserie. Als solches erscheint es auf den ersten Blick überhaupt nicht. Da ziehen sich zunächst dunkle Stierleiber wie Bergrücken quer durchs Bild. Als nächstes fallen die gehörnten Köpfe auf, von Nasenringen und Geschirr geziert, die von der Morgensonne angestrahlt werden. Der Hintergrund ist ruhiges Mauerwerk und das Gezweig eines Baumes. Erst wenn der Blick dort hinüberschweift, fällt auf, daß da hinter dem Rücken des letzten Stiers ein Kopf zu sehen ist, gerade bis zum Kinn zu sehen, jedoch aufmerksam zum Photographen hinüberblickend. Auch dieser Kopf ist vom Sonnenlicht angestrahlt, während die Rücken der Stiere im Dunklen liegen und vom Licht nur gestreift werden, die Konturen leicht modellierend.
Dies ist sicherlich kein arrangiertes, gestelltes Bild. Giorgio von Arb, der mit seiner Serie über die "Leute am Grabserberg" bereits sein zweites größeres Portraitwerk nach einer Studie über Menschen in Liechtenstein vorstellt, hat mit diesem Bauernportrait eine sehr ungewöhnliche Form gefunden. Anders als in seiner Liechtenstein-Serie, wo die Menschen zwar auch in ihrer Tätigkeit durch ihr Ambiente, die Räumlichkeit, ihre Kleidung, durch begleitende Accessoirs definiert werden, jedoch im Zentrum des Bildes stehen und ganz im Rahmen klassischer Traditionen als Ganz oder Halbfigur zu sehen sind, oder nur im Gesichtsausschnitt, hat Giorgio von Arb hier den portraitierten Menschen ganz in den Hintergrund gerückt, ihn erst auf den zweiten Blick zum Thema gemacht.
Zunächst meint man ja, ein Genrebild vor sich zu haben; eine Schilderung bäuerlichen Lebens, bäuerlicher Arbeit. Denn die Anwesenheit des Bauern innerhalb einer solchen Schilderung ist durchaus normal. Auch die Gewichtung innerhalb des Bildes mit den Tieren im Vordergrund, dem angedeuteten Gebäude, dem Baum und dem Bauern im Hintergrund entspricht durchaus dieser Bildtradition. Doch ungewöhnlich ist, daß der Bauer sich offensichtlich nicht mit seinen Tieren beschäftigt, sondern in seiner Arbeit innehält und sich ganz dem Photographen zuwendet. Diese Konzentration auf das entstehende Photo verwandelt das Genrebild mit einem Mal in ein Portrait. Der Bauer rückt sich selbst durch seine Aufmerksamkeit ins Zentrum des Bildes. Er ist nicht mehr Begleitperson im Bildkontext, er wird zum Mittelpunkt, präsentiert sich, umgeben von seinem Vieh, seinen Gebäuden, im Kontext seiner Arbeit. So wenig auch von seiner Gestalt zu sehen ist, so sehr ist er für uns durch diese Beschreibung greifbar und erkennbar. Würde ein Arbeiter ähnlich zurückhaltend im industriellen Kontext portraitiert, bliebe er für uns dennoch relativ anonym. Die Fabrikanlagen würden den Arbeiter eher als Rädchen in der Maschinerie bestätigen, und seine Rolle innerhalb dieser Maschinerie wäre mit der innerhalb des Bildes kongruent. Dagegen weist der herausfordernde Blick des Bauern ihn als denjenigen aus, der die beherrschende Figur im ganzen ist, mag er im Bild noch so sehr im Hintergrund stehen. Die Pracht seiner Stiere belegt, daß er offensichtlich Grund hat, selbstbewußt zu sein.
Sehen wir uns darüberhinaus den Bildaufbau noch genauer an, müssen wir feststellen, daß die scheinbar so an den Rand gedrängte Position des Bauern letztlich gar nicht so beiläufig ist. Der Kopf befindet sich in der rechten oberen Hälfte des Bildes, die nach unseren europäischen Sehgewohnheiten diejenige mit dem größten Gewicht im Bildaufbau ist. Der vorderste Stierrücken präsentiert sich uns als vage modellierte dunkle Masse, während die beiden hinteren mit ihren Köpfen zum linken Bildrand gewandt sind und mit ihren Rücken eine Diagonale in den Bildhintergrund hinein andeuten, in die Richtung, in der sich der Bauer befindet. Der Hintergrund wird durch das Gemäuer wieder ähnlich ungegliedert, wie der Vordergrund und erfährt nur nach rechts hin, zum Kopf des Bauern eine Auflockerung durch das Geäst des Baumes. Der Mittelgrund ist also als das Zentrum des Bildes ausgewiesen, an dessen hinterem rechten Rand der Bauer zu sehen ist. Auch das Licht, das von links einfällt, geht über die Stierköpfe hinweg und ist über die hellen Linien der Stierrücken auf den Bauernkopf gerichtet. Auch der Ast des Baumes, der die rechte obere Bildecke diagonal beschneidet, trägt durch seine dunkle Rahmung zur Ausrichtung auf das Gesicht bei.
So gelesen erweist sich der ganze Bildaufbau letztlich als eine sehr konsequente Komposition mit dem Gesicht des Bauern als Mittelpunkt. Es ist also in erster Linie das quantitative Verhältnis von großen, wenig gegliederten Flächen, das zunächst den Eindruck entstehen läßt, als befände sich der Kopf des Bauern am Rand des Bildes. In Wirklichkeit wird hier Spannung aufgebaut, zwischen diesen großen Bildflächen und den hell ausgeleuchteten kleinteiligen, die den Bildaufbau letztlich auf das Gesicht des Bauern lenken.
Damit erfüllt das Bild alle Merkmale eines Portraits, ja, es erweist sich sogar als eine besonders geglückte und interessante Form, da es erzählerische, genrehafte Momente einbindet, den Blick auffordert, das Bild zu durchwandern und den subtilen Hinweisen auf ihr Zentrum zu folgen, um sich dann auf den Kopf des Bauern zu konzentrieren und das Bild in der Fülle seiner Inhalte zu begreifen.
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