|
Die hier diskutierte Montage ist entstanden im Rahmen des Projekts 'Alles Konfetti? - Betrachtungen zum Golfkrieg' der Arbeiterfotogafie Köln. Sie ist darüberhinaus Bestandteil der 'Kölner Klagemauer für den Frieden', eines von der Stadtverwaltung notgedrungen geduldeten Forums zu Füßen des Kölner Doms für Menschen aus aller Welt, die hier ihre Friedensbotschaften mitteilen. Wir haben eine Reihe von Passanten an der Klagemauer befragt. Nachfolgend zunächst ihre Eindrücke:
Das ist der Dom, der Kölner Dom... Aber da sind doch Tote, die da vorne liegen. Die hatte ich erst gar nicht gesehen. Da gehen die Fußgänger, und da liegen die Toten. Da stimmt doch etwas nicht. (Andernach)
Keiner erinnert sich daran, daß hier Menschen gestorben sind. Wir gehen darüber hinweg, als wäre nichts passiert. (München)
Es ist, als wenn sich die Leute gar nicht für das interessieren, was da zu sehen ist. Aber wenn Krieg kommt - und irgendwann wird er kommen - dann wird es auch hier so aussehen. Heute sieht es in Jugoslawien so aus. (Türkei)
Das Bild zeigt den Lebensstil des Westens, der beruht auf den Toten der Dritten Welt. Es sagt mir: unter der Oberfläche des schönen Lebens in der westlichen Gesellschaft verbergen sich die Toten, nicht nur des Irak, sondern der Dritten Welt insgesamt. Die Kirche ist erbaut auf den Ruinen toter Körper. Es ist kein Zufall, daß die Kirche die Bomben des Zweiten Weltkriegs überlebt hat, nicht aber die Menschen. Es läßt mich glauben, daß eines Tages die Toten aufstehen und wiederkommen werden, um die Lebenden daran zu erinnern, daß es ihre Pflicht ist, einen anderen Weg zu gehen. (England)
Das Bild ist sehr gut. Die Sichtweise ist sehr gut. Es ist ein Zeugnis des Friedens. (Kalabrien, Italien)
Tourismus und Krieg haben etwas sehr ähnliches. Krieg ist Tourismus. Sie gehen an den Golf, sehen sich um und zerstören. (England)
Was ich sehe? Den Kölner Dom, davor tote Menschen. Da wurde einmal geschossen. Die anderen leben, die gehen dran vorbei. "Das interessiert mich nicht", sagen die Leute. (5-Jähriger, Bensberg)
Das sieht aus, als wären überall tote Soldaten. Es war schon immer eine Tatsache, die Kirche dabei an der Spitze zu sehen. Das ist sehr, sehr traurig. (Kalifornien, USA)
Es scheint, als flüchteten die Leute vor der Gewalt, die hier herrscht, in die Kirche, aus dem Grau ins Licht. Und es zeigt die Rolle der Kirche und des Krieges. Die Leute, die an Gott glauben, werden konfrontiert mit der Warnung: Stell Dir vor, es ist Krieg. (Lille, Frankreich)
Als Montage kann ich das gar nicht so weit wegschieben. Das kann Realität sein, eine Realität, die ich zwar selbst nicht erlebt habe, aber mit der wir tagtäglich konfrontiert werden. Man ist immer wieder bestürzt. Aber ändern kann der Einzelne das kaum. (Bergisch-Gladbach)
Es ist irgendwie seltsam: die gefallenen Soldaten und der Dom dahinter. Das ist irgendwie ein Gegensatz. Das sieht aus, als hätte das jemand auf den Boden gemalt, nur in Grautönen. Das Bild ist recht gut gemacht. Die Leute, die da rumlaufen, scheinen sich nicht um die gefallenen Soldaten zu kümmern. Die laufen einfach so vorbei. Denen scheint es ganz egal zu sein, daß da tote Soldaten liegen. Das Bild will aufmerksam machen auf das, was wir nicht zu sehen bekommen, wie im Fall des Golfkrieges. (Duisburg)
Das ist irgendwie paradox: die Verbindung von Kirche mit Krieg und Tod. Eine ganz krasse Darstellung. (Bergheim)
Siegfried Bresler, Arbeiterfotografie Rheda-Wiedenbrück:
Beim ersten Blick auf die Fotomontage fiel mir zunächst nur eine Unregelmäßigkeit im Pflaster der Domplatte auf, die sich bei genauerem Hinsehen als tote Soldaten darstellte. Blaß liegen die Toten auf dem Platz, ihr Grau unterscheidet sich kaum von dem der Platten. Wie archäologische Abdrücke aus alten Zeiten sehen sie aus und geben dem viel fotografierten Motiv der Domfassade eine bedrohliche Komponente: Unter dem Pflaster liegt der Krieg, der schon zu Zeiten mittelalterlicher Kathedralen Städte zerstörte, der Krieg, der vor 50 Jahren Köln zerstörte. Unter dem Pflaster liegen Erinnerungen an die Menschen, die täglich an vielen Orten der Welt im Krieg sterben. Obwohl unsere Städte diese Zeichen der Kriegszerstörung und des Schreckens in sich zu tragen scheinen, können wir uns nur schwerlich vorstellen, daß Krieg ist. Wie die Vordergrundperson gehen wir in der Hektik des Alltags im schnellen Schritt über Kriegsmeldungen hinweg. Der Kontrast zwischen dem Freizeitlook der schnell hinschreitenden Frau und dem Schrecken der verborgenen Zeichen in den Platten des Platzes setzt sich fort in dem Kontrast der sich fast wie zwei Welten gegenübertretenden Bildhälften. Grau, verschwommen, verwischt, angedeutet das Schlachtfeld; scharf, hochragend und hart das Hier und Jetzt der Domfassade. Die Toten des Schlachtfeldes dringen in diesem Kontrast kaum an die Oberfläche der Wirklichkeit. Getötete Soldaten direkt auf der Domplatte passen nicht in unsere Vorstellung, wir wollen damit nicht in Berührung kommen. Einen Krieg bei uns stellen wir uns nicht vor, er bleibt verborgen im Grau der Geschichte bzw. ist weit von uns entfernt.
Klaus Staeck, Heidelberg:
... eine sehr gute Fotomontage.
Joachim Vogler, Arbeiterfotografie Wuppertal:
Ein Sommertag am Kölner Dom, unbeschwertes Leben, auf den Dom hinweisende Hektik. Der Kölner Dom: ein weltberühmtes, viel frequentiertes Touristenziel und vielgeknipstes Fotomotiv.
Was soll's, denke ich beim ersten flüchtigen Blick. Doch dieser erste Blick wird sofort irritiert. Beim zweiten Hinsehen stören die toten Soldaten im Vordergrund den Eindruck der Belanglosigkeit. Die Kombination der beiden Motive zwingt zum genauen Hinsehen und Nachdenken. Und in dieser Kombination liegt auch Stärke der Montage, die bemerkenswerterweise anders als bei Heartfield oder Staeck vollkommen ohne Text bestehen kann. Bild- bzw. Montageaufbau mit Blickorientierung von links unten sowohl von den grauen Toten als auch von den hellen lebendigen Menschen auf den Dom zu unterstreicht die Wirkung. Zur Bildaussage bemerkenswert erscheint mir, daß alle Menschen auf der Fotomontage gesichtslos sind.
Diese Fotomontage bleibt im Gedächtnis haften und kann somit neben den berühmten Montagen bestehen. Nur schade, daß bei unserer Gesellschaft solche Bilder erst dann in ihrem nachdrücklichen Wert bestätigt werden, wenn sie historisch sind.
Walter Herrmann, Initiator der 'Kölner Klagemauer für den Frieden':
Wenn ich die Toten so zusammengekrümmt in Haufen dort liegen sehe, kommt mir eine Aktion in den Sinn, die die Friedensbewegung dazu einsetzte, den alltagsblinden Menschen die wirklichen Schrecken des Krieges vor Augen zu führen: Mit akustischer Unterstützung von durchdringendem Sirenengeheul ließen sich die Aktivisten auf einer belebten Straße wie von Kugel- oder Bombenhagel getroffen niederfallen. Hier im Bild ist die Wirkung, auch die Aussage noch darüber hinausgehend. Die Toten liegen u n t e r der Oberfläche, sie scheinen der Vergangenheit zuzugehören, die hier wie unter einer Spiegelfläche ausgegraben, sichtbar wird. Die Lebenden eilen darüber hinweg, denn sie leben in einer anderen Welt. Zwei Welten begegnen sich hier, und die, die in der oberen Welt leben, sind so vergeßlich, wollen es nicht wahrhaben, daß der Krieg wiederkommen kann. Für die Leute an der Oberfläche ist es auch nicht wichtig, ob irgendwoanders auf dieser Welt Krieg geführt wird. Dabei produziert die Rüstung immer weiter, aber hier läuft eben alles glatt. Es leistet niemand Widerstand, weil der Krieg nicht gegenwärtig ist. S o stellen sich die Menschen das nicht (mehr) vor, was doch im Zweiten Weltkrieg auch in Köln Wirklichkeit war: über Leichen laufen. Ein Kärtchen an unserer Friedensklagemauer vor dem Kölner Dom lautet lediglich "Imagine...". Genau dazu ruft auch diese Fotomontage auf.
|